Im Lonely Planet „Eastern Europe“ war Sofia die Stadt, die am wenigsten als „gritty exciting“ und „exuberantly different“ abgefeiert wurde. Zumindest der Bahnhof entsprach dem völlig, so daß meine Euphorie mit Ankunft tatsächlich verflogen war. Endlose Bahnsteige, zugeordnet nach einem geheimen System aus römischen, arabischen und kyrillischen Zeichenkombinationen und das Bahnhofsgebäude; zwei lieblos übereinander gelegte und mit Beton ausgegossene Muttermale, ausgeleuchtet wie eine sehr coole Bar, d.h. sehr dunkel. Der Lonely Planet sprach anerkennend vom „Brutalism Style of the 70s“.
Aus Sorge mit der Tram im falschen Viertel zu landen, ging ich vom Bahnhof zu Fuß ins Zentrum Sofias. Mich überraschten die großzügig bemessenen Gehwege und der geringe Autoverkehr – in Belgrad war es noch andersherum gewesen. Oder besser: Richtig herum gewesen. Denn ich fahre selbst ab und zu noch gerne mit einem sowjetischen Diesel-LKW zum Brötchen holen. Roggenbrötchen. Dreckig und finster.
In einem Café an der Alexander-Newski-Gedächtniskathedrale traf ich einen Waliser bzw die walisische Diaspora Bulgariens. Ein Migrationshistoriker im Ruhestand, „If you plan to go anywhere in Turkey, go to Ephesus! If not, they built a completely new underground line here in Sofia, go check that out, its fabolous“. Seine Frau war Bulgarin und nach vielen Jahren an der englischen Küste hatte sie ihn schließlich von Sofia überzeugt. „I’m still working, I haven’t retired. With the Internet I can work from anywhere anyway“. Es war offensichtlich, daß er trotzdem einsam war. Als ich bezahlte und ging, sprach er direkt den nächsten Café-Gast an, als führte er den Tag über ein einziges langes Gespräch mit jemandem, der scbon überall war und noch überall hinwollte. Das war mit Sicherheit inspirierend. Ich hatte zuerst noch geglaubt, von ihm wegen meiner auffallend schönen Hände angesprochen worden zu sein.
Den Nachmittag verbrachte ich zwischen Sofias Prachtstraßen und Repräsentationsbauten, ein Lebensraum, in dem ich mich nicht nur körperlich ganz natürlich zu Hause fühlte. Zar Alexander II., der die Bulgaren 1878 vor einer osmanischen Eroberung bewahrte, spendete mir mit seinem Reiterdenkmal Schatten, während ich meinen Bart genüsslich in alle Richtungen zwirbelte.