die Favelas der Neustadt

Letzte Nacht habe ich nicht geschlafen.

Ich saß an meinem Wohnzimmerfenster und habe in die gegenüberliegenden Wohnungen geschaut.
Es sind Sozialwohnungen in komprimierter, resourcenschonender Favela-Bauweise oder hier im Viertel einfach nur die Favelas.

Die Favelas

Bevor man davor den Baum pflanzte, sah es übrigens so aus:

Die Favelas vorher

In einer Wohnung ging im Sekunden-Rhythmus das Licht an-aus-an-aus, in einer anderen betete ein Bewohner in traditioneller Stammeskleidung Richtung Mekka und in einer weiteren versuchte eine Frau in Nachthemd ihr Kind mit dem Kinderwagen in den Schlaf zu schleudern, während ich Mozarts Hornkonzerten in der bekannten Bostoner Aufzeichnung lauschte, in der alle vier Konzerte mit Naturhörnern eingespielt worden waren, denn für diese hatte Mozart doch komponiert.
Wofür denn 1786 auch sonst.

In Sinfonieorchestern hat die Anzahl der Hörner mit der Zeit doch zugenommen, dachte ich, ein Thema, das in der Berichterstattung über die Elbphilharmonie bisher zu kurz gekommen war. Dafür las ich, dass die Nachhallzeit in der Elbphilharmonie bei 2 Sekunden liegt, während es in der Dresdner Philharmonie 2,2 Sekunden sind.
Ein Violinist äußerte deshalb, er habe während eines Konzerts das Gefühl mit Backsteinen um sich zu werfen, so direkt und kurz wäre der Nachhall – aber vielleicht habe ich mir das auch ausgedachhahaha. 0,2 Sekunden muss man sich eben leisten können, liebe Dresdner.

Kurz vor Mitternacht wurde es dann in den Favelas interessant.

Ein dunkler, älterer BMW hielt davor, ein vollbärtiger Mann stieg aus und wurde von zwei Männern in Trainingsanzügen begrüßt, die bereits auf ihn gewartet haben mussten. Der ältere der zwei Trainingsanzüge zog 1 Bündel Geldscheine aus der Tasche, zählte einige, viele Scheine ab und gab sie BMW Vollbart, der wiederum nachzuzählen begann.
Es entspann sich eine Diskussion, was ist mit Skonto, wer ist Skonto, etc – an deren Ende Vollbart weitere Scheine bekam, nachzählte und einige wieder zurückgab. So ging das eine ganze Zeit lang hin und her.

Schließlich ging Vollbart zum Kofferraum, öffnete und nahm, ich konnte es in der Dunkelheit nicht zweifelsfrei ausmachen, entweder zwei Rottweilerwelpen oder zwei Ochsenfrösche heraus. Oder zwei abgelaufene Salate von der Edeka Salatbar.

Vollbart gab diese den Trainingsanzügen und stieg selbst in den Kofferraum, zog diesen von innen mit dem rechten Fuß zu und von oben, aus der zweiten Etage wurde ich Zeuge, wie er sich vom Kofferraum aus nach vorne auf den Fahrersitz schlängelte, without using any doors.

Ein kurioses Schauspiel im trüben Licht der Straßenbeleuchtung, auch weil Vollbart recht klein und etwas dicklich war, was sein Körper aber offenbar gar nicht wusste, und er sich – zum Finale – aus dem offenen Fenster der Rückbank außen an der B-Säule vorbei in das offene Fenster des Beifahrersitzes wieder hinein, von dort aus dem Schiebedach heraus und schließlich durch das Fahrerfenster hinters Lenkrad zwängte.

Dann fuhr er davon und die Trainingsanzüge verschwanden mit ihren Ochsenfroschsalaten in den Favelas.
Irgendwann später in der Nacht parkte dann Modefreund, er fährt einen Pickup mit dem unübersehbaren Schriftzug modefreund.de – nein, ich habe das jetzt nicht verlinkt – mal wieder auf dem Behindertenparkplatz und ich ließ mich vom Mädchen im Dachfenster oben rechts in einen kurzen Sitzschlaf schminken.

Guten Morgen!

Meter Mütze