empathischer werden

Letzte Nacht habe ich schlecht geschlafen. Meine Tochter bekommt gerade Backenzähne und schreit sich Nachts heiser, bis bloß noch ein klägliches Krächzen herauskommt, der Kopf Tomatenrot, die Haare wirr.

Dann gibt es ein Zäpfchen für sie und eins für mich, aber im Gegensatz zu ihr wehre ich mich nicht dagegen. Ich lasse es geschehen, weil ich weiß, am nächsten Tag werde ich mir dafür dankbar sein.

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Ich merke, wie ich durch die Brülltomate zunehmend empathischer werde.

Das finde ich nicht gut, das ist ein großer Nachteil, das möchte ich nicht. Verständnis, Geduld und Hilfsbereitschaft – ich mache mir wirklich Sorgen, in einigen Jahren grundlos freundlich zu sein, denn grundlos freundliche Menschen sind mir suspekt. Aber New York ist natürlich eine wunderbare Stadt. Wonderful.

Deshalb mache ich manche Dinge bewusst ganz allein.
Letzten Samstag war ich schwimmen, inmitten von empathischen Vätern mit Kindern. Auch in der Dusche, als ein Junge, vielleicht 2, 3 Jahre alt, an seinem Schnippi herummachte, konnte sein Vater nicht anders, als ihm zu zeigen, wie man nun genau dieses Körperteil richtig reinigte. Sie übten es mehrere Male, bei denen der Vater immer wieder das Rausmachen als elementaren Bestandteil der Reinigung hervorhob. Der Junge machte dann fasziniert alleine weiter, rein, raus, rein, raus, der Vater wusch seine Haare, bis der Junge plötzlich auf die Badehose des Vaters zeigte:

Rausmachen!

und ließ nicht locker, bis der Vater sich beschämt zur Wand drehte, die Hose runterließ und dem Wunsch oder eher Befehl seines Sohnes zu dessen Freude nachkam.

Mir aus Empathie irgendwo beschämt die Hose runterzuziehen möchte ich nicht. Und ich bin froh, dass der Junge nicht auf mich zeigte.

Mein großer emphatischer Fehler war es jedoch, mich zusammen mit meiner Tochter impfen zu lassen, bloß weil inzwischen bereits das Gesicht der Kinderärztin ausreicht, um meine Tochter in Angst zu versetzen, weil es bei jedem Termin eine Spritze gibt. Ich habe auch schon überlegt, ob die Kinderärztin einfach ein hässliches Gesicht hat und es daran liegt. Aber für mein Fakeprofil bei Parship gab es schnell ein paar Anfragen.

Ich kam daher auf die Idee, mich mit meiner Tochter und vor ihren Augen impfen zu lassen. Das fand sie interessant, die glänzende Kanüle, Papa Mützes Wagemut, doch als sie dann selbst an der Reihe war, gab’s Panik und Gebrüll.

Und alles was ich davon haben sollte, war ein Impfschaden.
Mütze ein einziger Impfschaden.

Ich fühlte mich, als wurde ich mit Streichinstrumenten in eine Abschwitzdecke gewickelt, Violinen, Bratschen und ein Kontrabass, dazu drei Chinesen, von einem Pferd getreten, und kopfüber in einem Honigglas versenkt.
Darin gärte ich einige Tage, überall drückten die Streicher, ich fror, schwitzte, zitterte, bis sich der Deckel wie bei einem faulen Joghurt langsam nach oben wölbte und ich durch einen viel zu engen Riß herausgedrückt wurde – Hallo! Da bin ich wieder!

Wurde aber auch Zeit.