ich fühle mich so gratis

Gestern habe ich mich total verbügelt.

Dreieinhalb Stunden habe ich ein hellblaues Hemd gebügelt. Immer neue Falten und Knitterungen wollten von mir gelöst werden. Versteifungen, Verspannungen, Verhärtungen in der Oxford-Webung.

Warum treffen wir uns hier eigentlich so verspannt zur Arbeit, dachte ich, komm doch mal zum Raclette vorbei oder auf einen späten Tee.

Und wenn sich dann zur Nacht das Wlan abschaltet, hole ich die Gummibärchen aus dem Schrank und wir erinnern uns gemeinsam an das letzte Feuerwerk. Dachte ich weiter, als ich den Bügeleisentank mit Bacardi Gold auffüllte. Die Flasche hatte irgendjemand zu irgendeiner Feier mitgebracht und jetzt war sie gratis, einfach gratis!

Martin Schulz gefällt das.

Gedankenlos bügel ich weiter, spanne den Hemdrücken auf mein Tischbügelbrett, nacheinander die Brust, die Schulter, die Ärmel, mit Dampf zurück zur Schulter, zur Brust, zum Rücken.

Ich würfel die Reihenfolge durcheinander, so wie man Schlittenhunde an einem Doppelgespann durchtauscht, wenn man es noch bis Coca-Coca-Kokkola schaffen möchte, bis ich mir bald darauf keine Gedanken, keine Sorgen mehr mache und anfange, zu fliegen.

Wie von selbst bewegen sich jetzt meine Hände am Bügelbrett, ich habe den Zustand vollkommener Gedankenlosigkeit erreicht.

In einem schwarzen, leeren Raum kommt mein Bewusstsein wieder zu sich. Mir gegenüber, auf einer einfachen Holzbank, sitzt, von der Seite grell angetrahlt und in Frischhaltefolie eingewickelt, Uwe Seeler.

Moin Herr Mütze, sagt er, kommen sie auch mit zum Karneval, ich persönlich gehe als Ei im Glas.

Das finde ich gut, denke ich, aber ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie privat verkleidet.

verschwindet Uwe Seeler und es erscheint Friedhof Nagel. Mensch, Friedhof! denke ich und wir begrüßen uns mit einer freundschaftlichen Umarmung, auch wenn er an der Stirn etwas schwitzt.
Na Meter, wie geht’s! Ich wollte dich fragen, ob du mit nach Osten kommst, in das Land, in dem Pferde wie Menschen aufgezogen werden.
Und was sind wir dort? Pferde oder Menschen?
Das kannst du dir aussuchen.
Abgemacht. Ich nehm das Pferd.

verschwindet auch Friedhof und es erscheint mein Ghostwriter. Wir geben uns aus einem Reflex heraus die Hand.

Meter, du hast mich für den Roman geholt und jetzt kommt dieses andere Buchprojekt dazwischen.
Ja und?
Ich kann das nicht, das bist viel zu sehr du, Miggedimeter, die weiße Massai. Dafür bin ich nicht ghostig genug, außerdem hat die Lektorin schon nen Freund.
Ach komm, ein bisschen knutschen geht doch immer!
Ja, ich weiß, die Literaturbranche ist da nicht so. Aber eigentlich bin ich ja Buchhändler und Alkoholiker. Nebenbei … male ich.

Da bricht mein Ghostwriter schluchzend in Tränen aus, ich nehme ihn in den Arm und lasse ihn sich ausweinen. Ich fühle mich beschmutzt. Ich entlasse das Schwein.

Und stehe wieder am Bügelbrett.
Das Schöne an der Zukunft ist ja, dass man nie weiß, wie sie wird.