In Bambuskegeln auf Thailand

Liebe Sara,

Vielen Dank für deine Nachricht als Antwort auf meinen Newsletter vom 4. April.

Es tut mir leid, dass dein Vater kürzlich an den inneren Verletzungen aus einem Autounfall verstarb.

Mir ist deine Situation nicht unbekannt, ja, ich kenne sie sogar sehr gut.
Im Spätsommer letztes Jahr wurde ein langjähriger Mitarbeiter unerwartet von einem LKW totgefahren. Ebenso habe ich in den 90ern bei Grand Theft Auto jede Menge unschuldiger Menschen, insbesondere Kinder, überfahren.
Und während die Organe von Michael Staade zum Teil noch zur Spende geeignet waren, sind die zerfahrenen Kinder mir einfach als Punkte gutgeschrieben worden – und das bevor es Payback oder Bahnbonus gab.

Du schreibst, als du deinen Vater beim Bestatter endlich sehen konntest – du bist Architektin und beruflich stark mit internationalen Gerüstbaufirmen verbunden und musstest das Projekt eines Bambuskegelhotels auf Koh Samui noch abschließen – als du also deinen Vater endlich beim Bestatter sehen konntest, hatten deine Geschwister ihm bereits die Kreditkarte und das Bargeld aus dem Portmonee und deine Mutter ihm jeglichen Körperschmuck abgenommen.
Seine Kleider waren zu verdreht, um sie ihm abzunehmen, außerdem war er zu steif, er wäre sein ganzes Leben immer schon zu steif gewesen, hast du geschrieben, und ich glaube, das ist wahr.

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Du schreibst, du hast das Kegelhotel auf Koh Samui schon in der Ahnung projektiert, dass etwas Furchtbares geschehen wird.

Und dann ist in der letzten Woche der Bauarbeiten, zeitgleich zum Unfalltod deines Vaters, ein junger Mann auf einen der Kegel geklettert und von oben in den Kegel hinein gestürzt.
Und weil der Tod des jungen Mannes das Projekt verhagelt hätte, du auch selbst deinen eigenen Vater sehen musstest, habt ihr ihn einfach in der Mitte des Kegels auf den Bambusdielen liegen lassen. Ein, von der Kegelspitze aus betrachtet, kleiner schlafender Drache.

Und seit April sind die Kegel fertig und du wohnst selbst im Kegel des kleinen Drachen. Bis Ende des Jahres hast du ihn gemietet, hast in nächtlicher Arbeit einen weiteren Bambusboden eingezogen und fragst dich und mich, was du tun sollst. Im Allgemeinen, wie auch im Speziellen.

Meine drei Vorschläge für dich lauten:

a) Den Kegel verbrennen.

b) Den Kegel bis zur Spitze mit Sand auffüllen und auf die mahlende, reinigende Kraft von 1,8 Millimeter großen Sandkörnern vertrauen.

c) Den Kegel mit rotem Klinker einmauern, Bettina Wrage, gerade auf Weltreise, wird dir helfen, wenn du ihr schreibst: https://www.instagram.com/intothenow/

Und bis dahin lies Die Frau in den Dünen von Kobo Abe:

Vom Jagdfieber verlockt, lässt ein junger Insektenforscher sich in einem entlegenen Küstendorf ein sonderbares Quartier anbieten, das sich bald als Gefängnis erweist. Zusammen mit einer Frau muss er in der Tiefe eines Sandlochs hausen und gegen die Macht des wandernden Sandes ankämpfen.

Schreib mal wieder!

Dein Meter