Diesen Monat habe ich Geburtstag, aber ich werde ihn nicht feiern. Es ist niemand da, jeder ist im Urlaub. Zu einem meiner Geburtstage haben gar alle Eingeladenen abgesagt. Verreist. Ich saß alleine vor meiner Pumuckltorte und dicke Tränen löschten die einzige Kerze. Doch dann klingelte das Telefon.
Eine Freundin. Erwartungsfroh nahm ich ab, doch nach wenigen Augenblicken wurde klar, sie hatte vergessen, dass es mein Geburtstag war und rief einfach nur so an. Was sollte ich tun? Sie darauf hinweisen? Nein, wie unangenehm. Also telefonierte ich, als ob nichts war. Ich tat, als hätte ich nicht Geburtstag, als wäre ich also nie geboren! Ein unvergleichlicher Akt der Selbstverleumdung. Und das aus Höflichkeit.
An einem weiteren Geburtstag räumte ich bei Edeka Regale ein. Ich war für die Kekse, den Kaffee und Tee zuständig. Der Marktleiter, Herr Bilak, sah aus wie die Obdachlosen vor dem Supermarkt und nannte mich immer nur Rolf. An diesem Geburtstag schwor ich mir, nie wieder an meinem Geburtstag beruflich tätig zu sein und schon gar nicht als Rolf.
Ein anderes Mal eröffnete ich in London ein Bankkonto bei Barclays. Bei Aufnahme meiner Daten bemerkte die Sachbearbeiterin das Offensichtliche: Oh, it’s your birthday today? Well, yes, it is. Oh, happy Birthday! Thanks.
Kindergeburtstage sind die besten. Alle kommen, jeder freut sich und es gibt Waffeln. Aber ich möchte nicht wieder über Kinder schreiben, auch wenn ich gerade diese Phase habe.
In meiner Schublade steckt der Geheimplan für den Geburtstag, den ich ganz groß feiern werde. Ich stelle mir den Ablauf wie folgt vor:
8 Uhr: Der Wecker klingelt
8.15 Uhr: Ich schreite im Hausmantel durch den Säulengang ins Wohnzimmer und nehme erste Glückwünsche der Familie entgegen. Mündlich und schriftlich. Meine Tochter stellt fest Papi hat gleich Geburstag.
8.30 Uhr: Morgentoilette, der Hausmantel bleibt an.
9 Uhr: Auf dem Balkon nehme ich alleine den ersten Tee des Tages ein. Der handwerklich beste Tee meiner Sammlung, ein Aracha aus Japan für 1,26 Euro je Gramm, den ich bei 7° im Kühlschrank aufbewahre. Ich sinniere über meine Wünsche und Träume und wie ich die Rechnung für dieses Anwesen bezahle, das ich bei Airbnb gemietet habe.
10 Uhr: Frühstück mit der Familie. Es wird gesungen. Bruder Jakob auf Deutsch, Englisch und Französisch. Der emotionale Höhepunkt: Schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst. Ich wische mir ein paar Tränen ins seidene Taschentuch. Meine Tochter stellt fest Papi hat gleich Geburtstag.
12 Uhr: Ich hebe die Tafel auf und begebe mich über die Wendeltreppe ins Erdgeschoss und von dort durch die schwere Holztür in den Garten, wo die Gärtner zu meiner Belustigung einen Irrgarten aus Eiben angelegt haben. Die Frucht der Eibe ist giftig, aber mit die schönste Hülle, die Samen je fanden:
Schön. Glatt.
Über die Mittagszeit schlender ich durch den Irrgarten, während die Familie an den Fenstern steht und mir aus dem ersten Stock dabei zusieht, wie ich den Ausgang finde. Mittendrin stoße ich auf eine Wurmkiste. Ich öffne sie, die Würmer halten ein selbstgemaltes Plakat in die Höhe auf dem steht: Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut! Doch ich höre nichts, außer einem leisen Gemansche.
13.30 Uhr: Als ich den Ausgang des Irrgartens erreiche, finde ich ein Schwein, das mit Paketband an einem Holzpflock fixiert ist. Dazu eine Auswahl Pinsel und Wassermalfarben, die ich auf das Schwein auftrage. Meine Tochter stellt fest Papi malt ein Schwein!. Ich lasse das Schwein kurz trocknen und greife dann zum Schlachterbeil, das nahebei in einem Baumstumpf steckt, und zerhacke das Schwein. Es ist aus Tofu. Ich schmunzel. Ein Geschenk meines Freundes Joscha, der seit kurzem in seiner Wohnung Tofu koaguliert.
14 Uhr: Mein Bruder ruft an. Er wird mir nun wie jedes Jahr die Geburtstagsinformation des Jahres mitteilen. Dieses Jahr: Elefanten können Mengen riechen. Wenn sie die Wahl zwischen zwei Eimern haben, entscheiden sich Elefanten in rund 60 bis 80 Prozent der Fälle für den volleren. Je größer der Unterschied im Füllstand ist, desto treffsicherer sind sie. Ich bin erstaunt. Ich sage meinem Bruder, dass wir immer noch viel zu wenig über die Welt wissen und noch weniger verstehen. Trotzdem machen wir sie kaputt. Das macht mich traurig.
15 Uhr: Ich gehe in den nächsten Edeka, kaufe eine Schachtel Kekse und schaue mir die armen Würstchen an, die an meinem Geburtstag arbeiten müssen. Mehrmals rufe ich aus verschiedenen Regalreihen Rolf! in den Laden.
17 Uhr: Ich rufe Freunde und Bekannte an, um über alles zu sprechen, außer über meinen Geburtstag. Manche gratulieren direkt, andere nicht. Für diese versuche ich das Telefonat so unangenehm wie möglich zu gestalten, in dem ich erzähle – hab ich dir schon mal erzählt – wie ich an einem meiner Geburtstage von einer Freundin angerufen wurde, diese aber einfach nur klönen wollte und mir nicht gratulierte. Kurios, nicht wahr? Dann lachbrülle ich in den Hörer und lege auf. Hahaha.
Weiter bin ich mit meinem Plan noch nicht. Aber sobald er fertig ist, mach ich es wahr. Und jetzt etwas Poesie.
Most people ignore poetry because poetry ignores most people
When I am sad and weary
When I think all hope has gone
When I walk along High Holborn
I think of you with nothing on
Celia, Celia – Adrian Mitchell
Gespräche mit einem Kleinkind
Und dort haben wir die Spinne gesehen, die ganz schnell weggelaufen ist.
Aber wer noch?
Wie, wer noch?
Aber wer no-hoch!
Niemand. Niemand ist noch weggelaufen.
Doch du!
Ich?! Und wo bin ich hingelaufen?
Unter den Eimer.
Und dann?
Dann hast du Sand genommen und durch die Finger gerieselt, so (macht es vor).
Und wenn sie mal groß ist, werde ich ihr dieses Buch empfehlen, wenn sie mich nach einer Empfehlung fragt. Und nur dann.
Amaryllis Night and Day von Russell Hoban
The first time Peter Diggs saw Amaryllis she was at a bus stop where the street sign said Balsamic, although there was nothing vinegary about the place.
Das ist in einem Traum. Als Peter Amaryllis dann in Wirklichkeit trifft, stellen beide fest, dass sie sich gegenseitig in ihren Träumen besuchen können. Sie beginnen eine vorsichtige Romanze, aber schaffen sie es, über ihre gescheiterten vergangenen Beziehungen hinwegzukommen?
Russell Hoban ist mein Vorbild. Das, was er schreibt, ist romantisch, lustig und sexy. Und völlig unprätentiös. Amaryllis Night and Day steht auf meiner Liste der romantischen Bücher, die unromantisch sind, ganz oben. Naja, so viele dieser Art gibt es ja gar nicht, oder?